Das ZfP Reichenau hält nicht nur mit einem Gedenkakt die Erinnerung an die 508 Patientinnen und Patienten wach, die von Nazis ermordet worden sind. Es zeigt derzeit auch in einer Ausstellung, wie leicht man in Konstanz die Mühlen des NS-Regimes geraten konnte. Die Ausstellung "Es konnte alle treffen" ist bis zum 31. März im Flur von Haus 1 zu sehen - Interessierte sind herzlich willkommen.
Zwangssterilisationen gelten heute als das erste planmäßige Massenverbrechen des NS-Regimes. Als weitere Konsequenz der Unterteilung der Menschen in lebenswert und lebensunwert wurden ab 1939 in mehreren „Euthanasie“-Programmen insgesamt etwa 300.000 Frauen, Männer und Kinder ermordet. Dazu gehören auch die 508 Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz, die mit elf Transporten in die Tötungsanstalten Grafeneck und Hadamar gebracht und dort vergast wurden.
Anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus hat die Konstanzer Politikwissenschaftlerin Sabine Bade im Festsaal des ZfP Reichenau über Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Verbrechen der Nazis gesprochen. Sie hat untersucht, wie die sogenannte „Euthanasie“ vor Ort umgesetzt wurde, und zusammen mit Roland Didra nicht nur ein Buch darüber geschrieben, sondern auch eine Ausstellung für die Initiative Stolpersteine für Konstanz - Gegen Vergessen und Intoleranz entworfen.
Blick auf die Opfer
Sowohl im Buch als auch in der Ausstellung legen Bade und Didra den Fokus auf die Opfer und den lokalen Bezug. Diesen Verdienst hob Gabriel Richter, ehemaliger Chefarzt der Klinik für Alterspsychiatrie am ZfP Reichenau, bei der Ausstellungseröffnung am 27. Januar hervor. Der Blick auf die Opfer ermögliche es, Lehren aus den Verbrechen der Nationalsozialisten zu ziehen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 31. März täglich von 6 bis 18 Uhr im Flur von Haus 1 zu sehen. Roland Didra wird Führungen anbieten. Die erste findet am Sonntag, 9. Februar, um 15 Uhr statt. Der Eintritt ist frei, alle Interessierten sind herzlich willkommen.
Gedenktag 2025: Warum das ZfP Reichenau jedes Jahr an die NS-Opfer erinnert
Trotz grauen Regenwetters sind zum Gedenkakt am Montagnachmittag mehr als 120 Menschen am Mahnmal vor Haus 20 zusammengekommen. Pflegedirektorin Angela Häusling las den Bericht eines Patienten vor, der Grafeneck überlebt hat, weil er als Soldat Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg war. In nüchternen Worte schildert er das Erlebte.
Der Mann hatte bereits Gerüchte gehört, dass die Patienten der Anstalten getötet werden sollten. Er berichtet von den Nummern, die die Patienten von den Pflegern bekamen, vom Transport in den grauen Bussen, deren Fenster dunkel gestrichen waren, und von der Ankunft in Grafeneck, einer von acht Tötungsanstalten, die die Nazis eingerichtet hatten. Ein Bretterzaun mit Stacheldraht versperrte den Blick hinein oder hinaus.
Drin angekommen, mussten sich die Männer ausziehen. Nach und nach wurden ihre Nummern aufgerufen und sie mussten in ein Untersuchungszimmer eintreten. Sie wurden fotografiert: Ganzbild, Brustbild, Profilbild. Vor dem Gang in die Gaskammer wurde ihnen Morphium gespritzt.
Ein Pfleger schildert im Freiburger Grafeneck-Prozess die Vergasung der Patientinnen und Patienten: „Beim Reingehen in den Vergasungsraum bzw. Hereintragen wurden die Geisteskranken nochmals gezählt, sodann wurde die Türe und das Entlüftungsfenster geschlossen. Sodann ließ der Arzt von einem Nebenraum aus Gas einströmen.“
Blumen mit Wünschen für die Ermordeten
Stille. Dann ein Glockenschlag. Patient:innen, Bewohner:innen und Mitarbeitende gingen nach und nach zum Mahnmal und stellten Christrosen ab, in deren Töpfe sie kleine Fähnchen mit Botschaften für die Ermordeten gesteckt hatten. Die Glockenschläge steigerten sich, bis die letzte Blume abgestellt war. Dann verstummten die Glocken und alle Akteure sprachen gemeinsam die Aufforderung an alle aus: „Nie wieder!“
*„Euthanasie“ und andere von den Nazis geprägte Begriffe stehen in Anführungszeichen, weil es sich um die Sprache der Täter handelt.